Es riecht nach Liebe

Ein Rausch darüber, wie viel ich in kürzester Zeit erleben kann

Ich raste völlig aus, ich will alles: Plane Theater, Ausstellung, Kino und Freunde treffen…ist das zu viel? Mein Mann schaut mich etwas verdutzt an, als ich ihn in meine Pläne einweihe. Wir haben das erste Mal, vier Tage ohne unser Kind. Einzeln waren wir schon öfter unterwegs, aber an diesem Wochenende fährt unser Mädchen mit Oma und Opa in den Urlaub. Ein ganzes Wochenende, mehr sogar: Freitag bis Montag.

„Warum willst du so viel machen?“

„Weil wir es können“, schreie ich vergnügt und springe im Dreieck. Haha jaaaaa, bevor ich schwanger wurde, waren wir nicht lange zusammen. Wir sind also weder ausreichend ins Kino, noch essen, geschweige denn ins Theater gegangen. Das will ich jetzt an einem Wochenende nachholen. Naja das ist vielleicht ein wenig übertrieben, aber wenn es mich packt, dann los. Ich erzählte einer Freundin von meinen Plänen: „Bei dir ist wohl schon Freedomday“, bemerkte sie etwas abschätzig und ergänzte „sei trotzdem vorsichtig.“ Sie macht sich Sorgen. Das ist ok. Ich versuche Vorsicht und es fällt mir schwerer denn je. 

Noch beim Konzert von Vivii im Prachtwerk Neukölln ein Wochenende vorher, möchte ich Vorsicht walten lassen und denke darüber nach, ob ich vielleicht eine Maske aufziehen sollte. Aber es ist nahezu unmöglich, ich lache eher ziemlich senil alle an. Ich bin mit einem Freund unterwegs, wir haben uns sehr lange nicht gesehen und viel zu erzählen. Ich habe das Gefühl, ich rede ununterbrochen wie ein Wasserfall. Wenn ich nicht rede, erzählt er wilde Bettgeschichten, die ich liebe. Ich kenne kaum jemanden, der mehr zwischenmenschliche Skurrilitäten erlebt wie er. Aus dem Prachtwerk fegt man uns hinaus und wir landen in einer ollen Berliner Eckkneipe und versacken da. Als ich durch die Nacht zum Nachtbus latsche, bin ich sehr glücklich. Die Stadt ist zurück und ich weiß, das ich dieses Wochenende noch viel vorhabe.

„Alles möchte ich immer“, sagte Franziska Reventlow. Ich verstehe sie sehr gut. Früher sagte man mir immer: „Heli, du kannst nicht auf allen Hochzeiten gleichzeitig tanzen.“ Ich lies den Kopf hängen und zog von dannen. Jaja, ich muss mich entscheiden, dachte ich zeit meines Lebens. Für einen Mann, für ein Haus, für ein Leben. Das mit dem Mann ist ok, ich will nur den einen. Haus eignet sich auch gut als Basis. Aber ich will viel erleben und deswegen tanze ich doch auf allen Hochzeiten. Manchmal bin ich danach ganz schön erschöpft, aber ich liebe dieses Gefühl. Zerspielt vom Leben, den Kopf voller Geschichten und Erlebnisse, alles geht eben manchmal doch. Ich gehe gerne in die Markthalle Neun in Kreuzberg, dort gibt es auch alles. Das Leben sollte genau so sein wie eine Markthalle: Man kann sich gemütlich hinsetzen, richtig gut essen und trinken, Menschen anschauen oder in der Ecke seine Ruhe haben. Viele bunte Blumen und frisches Obst und Gemüse sind wichtig. Nicht zu vergessen ein bunter „Bücher-Tausch-Tisch“.

Eine ganz neue Erfahrung war für mich das TD-Theater: Es befindet sich in Mitte. Genauer gesagt in der Klosterstraße. Eingeklemmt zwischen Decathlon auf der Grunerstraße und der Prochialkirche auf der anderen Seite. Das Gebäude in dem sich das Theater der freien Szene befindet sich in ein einem alten Ostbau. Wenn ich nicht wüsste, dass die Adresse richtig ist, würde ich denken, dass Haus ist abrissreif. Es riecht muffig im Hausflur und der Gang zur Bar hat etwas Mystisches, aber das Stück mit dem Namen „Sex Smells“ passt sowas von perfekt in diese Location, dass mir ein bisschen die Worte fehlen. Nur so viel zum Inhalt: Das letzte feministische Pornokino der Stadt wirft seine tief-roten Schatten der Nacht auf die keimfreie Welt des Tages. Mein Mann und ich sahen ein post-patriarchales Erotik-Märchen von und mit Kollektiv Eins rund um Paula Thielecke. Es war herausragend! Übrigens steht TD für Theaterdiscounter und ist in jedem Fall einen Besuch wert. (Ich verlinke alles am Ende dieses Rausches)

Na, wie geht es weiter? Erst mal ab ins Bett, denn Mama und Papa sind allein zu Hause…Details gibt es dazu nicht. 

Es sind diese ganz bestimmten Momente, in denen man plötzlich versteht, worum es geht – zwischen zwei Menschen. In diesem Moment weiß man der oder die bleibt an deiner Seite oder eben nicht. Das passiert bei Freundinnen und Freunden, aber auch beim Partner oder der Partnerin fürs Leben. Ich hatte einen solchen Moment mit meinem Mann vor ungefähr zehn Jahren. Und dann noch einmal am vergangenen Wochenende. Das ist ein bisschen verrückt, denn das passiert nicht allzu oft. Und dann ist es umso schöner, wenn es doch immer wieder vorkommt. Wir kennen uns jetzt ein bisschen länger als diese zehn Jahre und ich schaute ihn an, in diesem hippen Berliner Italiener in der Stadtmitte, wo wir eigentlich nie sind, weil es uns zu hipp ist, und es passierte etwas: Robert stopfte sich zwei dicke grüne Oliven in den Mund. Diese Leckeren, die mit Rotwein so fantastisch sind, steckte in jede Wange eine und sagte „Mops“. 

Ich musste fürchterlich lachen, konnte mich gar nicht beruhigen, so schlimm das meine Augen anfingen zu tränen. Dabei war es gar nicht so lustig und eigentlich macht er das immer nur zu Hause und unsere Tochter lacht sich dann schlapp und macht es ihm nach, aber diesmal musste ich so lachen, dass ich fast vom Stuhl kippte und unter den Tisch fiel. Naja gut, jetzt übertriebe ich ein bisschen, aber es war schon ähnlich. Ich lachte und lachte und lachte und mein Mann spuckte die Oliven beinahe quer durchs Restaurant. In diesem Moment wurde mir wieder einmal klar, mit dem will ich alt werden. Später im Kino – wir waren im wunderschönen Kino International – schauten wir den Film „Wo in Paris die Sonne aufgeht“. Ein Film über die Liebe, die man manchmal nicht gleich erkennt. Ein Film über die Tücken des Lebens und welche Schwierigkeiten es mit sich bring. Aber vor allem ein Film, der uns zeigt, dass wir das Leben in allen Zügen genießen sollten! Es ist meistens wirklich schön. 

Am nächsten Morgen, wir waren immer noch allein im Haus, zog ich die Rollos hoch und rollte mich noch einmal unter meine Decke. Der Himmel war blau und erste Sonnenstrahlen trafen mein Gesicht. Mein Mann öffnete das Fenster und ließ den Frühling ins Schlafzimmer. Es roch nach Blumen, nach Sonne und irgendwie auch nach Liebe. 

Bleibt luftig und immer öfter leicht&lebendig,
Helen


Würde ich Tipps für Berlin-Tourist*innen geben, es würde das hier dabei sein:

Die Band Vivii und Konzerte im Prachtwerk Neukölln.

Schlemmen in der Kreuzberger Markthalle Neun.

Sex smells von Kollektiv Eins im TD Theater Berlin.

Die fantastische Ausstellung von JOANA BIARNÉS, DISPARANDO CON EL CORAZÓN – MIT DEM HERZEN GESEHEN.

Unbedingt einen Tisch bestellen muss man im Mädchenitaliener.

Eines der schönsten Kinos ist das Kino International.

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„Ich habe meine Mama vermisst”

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„Ich habe eine Ü.K.T.“